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Sagen aus dem Emslande

Von Lehrer H. Wessels, Herbrum

In alter Zeit lebten im Emslande Zwerge. Die hat unser Herrgott erschaffen, als er einmal in sichtbarer Gestalt auf Erden wandelte. Einmal kam er in ein Haus, wo 10 Kinder wohnten. Fünf davon waren schön, fünf dagegen häßlich. Letztere schickte die Frau in den Keller, der Herr sollte sie nicht sehen. Er ließ die Kinder vor sich kommen, und als er die fünf erblickte, fragte er, wo die anderen Kinder wären. Da sprach das Weib: "Andere Kinder habe ich nicht." Dann segnete Christus die Kleinen und sagte: "Wat unner is, schall unner bliewen, wat baowen is,schall baowen bliewen."

Bald ging der Herr weiter, und die Frau eilte, vom schlechten Gewissen geplagt, in den Keller. Doch, wie erschrak sie! "Wat unner is, schall unner bliewen", hatte er gesagt und so die Unterirdischen geschaffen, die Zwerge oder Aulken.

Die Aulken waren kleine Gesellen, knapp 1 ½ Fuß hoch. Sie trugen schwarze Kleidung und auf dem Kopfe eine rote Zipfelmütze. Man bekam sie selten zu Gesicht. Am Tage blieben sie zumeist in ihrer unterirdischen Wohnung, in den Borsumer-, Tunxdorerbergen oder den Hexenbergen bei Lehe. Bei Nacht kamen sie hervor, stahlen von den Äckern Gemüse und Korn, aus dem Stalle die Milch. Trotzdem wagte es keiner, ihnen entgegenzutreten, denn sie konnten sich unsichtbar machen und konnten überdies geheime Zaubersprüche. Wehe dem, der es mit ihnen verdarb. Doch sie haben auch manches Gute getan.

Zuerst waren die Aulken recht bescheiden. Sie gingen den Knechten und Mägden nach, die morgens vom Melken kamen und lasen sorgfältig die Tropfen Milch auf, die verschüttet wurden. Bald aber glaubten sie, ein gutes Recht auf einen Teil der Milch zu haben, und wenn die Magd beim Durchsieben derselben nicht etwas verschüttete, stießen sie die Milchbehälter um.

Später gingen sie sogar bei den Bauern von Borsum und Herbrum in die Ställe und molken die Kühe aus. Wurden sie dabei überrascht, gossen sie die Milch aus und flohen mit Gepolter und lautem Geschrei aus dem Hause.

Auch Butter aßen die kleinen Wichte gern. Des Nachts kamen sie in die Häuser und butterten. Wurden sie dabei gestört, ward das Butterfaß umgeworfen und fort stob der ganze Schwarm.

Bald war nichts mehr vor ihnen sicher. Dem Bauern holten sie das Korn vom Boden. Nur wenn er ein Kreuz darauf machte, wagte sich kein Aulk daren.

Bei Tunxdorf vertrugen die Zwerge sich besser mit den Menschen. Letztere gingen bei Hochzeiten und Kindtaufen zu den Tunxdorfer Bergen und liehen von den Aulken Kupfer und Zinngerät. War die Feier vorbei, brachten sie das Geschirr zurück und legten ein Stück Fleisch oder eine Wurst in einen der Kessel, als Bezahlung für das Leihen der Geräte. Einst hatte auch ein Mann einen kupfernen Kessel geliehen. Als er ihn nicht mehr gebrauchte, legte er ein Stück Wurst hinein und schickte seinen Jungen damit an den Berg. Der aß unterwegs die Wurst, legte aber dafür einen Stein in den Kessel. Als ein Aulk den Kessel in Empfang nahm und den Schabernak bemerkte, faßte er den Jungen bei den Ohren und drehte den Kopf herum, daß derselbe verkehrt auf dem Rumpfe saß. So kehrte der Unvorsichtige in's Dorf zurück. Seit dem Tage liehen die Aulken nichts mehr aus.

Die Tunxdorfer Aulken scheinen immer streng auf Bezahlung ihrer Dienste gesehen zu haben. In der Nähe der Berge war einmal ein Bauer mit Pflügen beschäftigt. Da hörte er den Ruf: "Aulke tau Bräi!" "Ei," dachte er, "so etwas könnte dir auch passen" und rief: "Mi uck ‚n Napp vull!" Als er herumgepflügt hatte und wieder an die Stelle kam, stand in der Furche ein Napf. Der Bauersmann eilte darauf zu, fand ihn mit dampfendem Brei gefüllt bis zum Rande und trank die wohlschmeckende Speise, bis der Napf leer war. Da fiel ihm ein, daß er bezahlen müsse. Er durchsuchte die Taschen und fand zuletzt einen alten Pfennig, der lange ^^^außer Kurs gesetzt war. Den legte er in den Napf und pflügte ruhig weiter. Als er zurückkam, sah er einen Aulk in der Furche stehen, den Napf in der einen, das Geldstück in der anderen Hand, dieses genau betrachtend. Dann schleiderte er dasselbe heftig in die Furche zurück und rief im Davonlaufen: "Dat is din Glück män!"

Der Bauer nahm das Geldstück wieder auf. Er fand bei genauer Untersuchung auf der Rückseite ein Kreuz.

Einem anderen Bauern ging es ähnlich so. Als er pflügte, roch es mit einem Male so angenehm nach Pfannekuchen. "Die Unterirdischen werden backen," dachte er, "davon möchtest du auch wohl essen."

Als er an die Stelle zurückkehrte, stand dort eine Schüssel mit Pfannekuchen. Er verzehrte sie mit gutem Appetit und legte auf den leeren Teller einen Schilling.

Einem Knecht passierte dasselbe. Er legte aber auf den Teller schwarze Erde. Augenblicklich kam ein Aulk mit wütendem Gesicht. In seiner Not schnitt der Knecht die Stränge durch, warf sich auf's Pferd und jagte dem Dorfe zu. Der Aulk sprang hinterdrei. In Todesangst erreichte der Knecht den Hof.

Die Unterirdischen in den Borsumer Bergen haben einmal gezeigt, wie sie in ganz uneigennütziger Weise dem Menschen hülfreiche Hand leisten, wenn grausam die Not an seine Tür klopft.

Ein Mann war in Bedrängnis geraten. Lange schon lag seine Frau auf dem Krankenbette, er konnte nicht hinausgehen und Geld verdienen. Die Kinder bekamen nicht satt zu essen, der Hunger schaute aus ihren blassen Gesichtern. Jetzt schrieen sie nach Brot, aber nur drei Pfennige bildeten die ganze Habe des armen Mannes. In seiner Verzweiflung lief er zum Aulkenpütt. Er stellte einen Teller dahin und legte die drei Pfennige darauf. Dann entfernte er sich. Nach einer Viertelstunde kam er in banger Erwartung zurück. O, wer beschreibt die Freude! Der ganze Teller war mit Goldstücken gefüllt. "Tausend Dank, ihr guten Aulken, Frau und Kinder brauchen nicht mehr hungern!"

Jetzt sind die Aulken fort. Das Christentum vertrieb sie. In den Tunxdorfer Bergen hörte man laut klagen:
"Evangeln, Lün und Klagen,
Dat vertrifft us ut de Landen!"
Für den plötzlichen Auszug kann noch ein anderer Grund mitgesprochen haben. In Herbrum hörte man eines Abends spät im Stalle ein Poltern und dann lautes Schreien: "Ike Aok is dot, Ike Aoke is dot!"

Sie haben wieder die Kühe ausgemolken. In dem Dorfe ist seit dem Tage kein Aulk mehr gewesen. Wer war Ike Aok" Ihr König" Man nimmt es allgemein an. Überall, wo rechts der Ems Aulken wohnten, erscholl an dem Abende das Geschrei: "Ike Aok is dod!" Sofort rüsteten die Unterirdischen sich zum Aufbruch.

Die in den Leher Gexenbergen wohnenden zogen nach Bollingerfähr zwischen Dörpen und Heede um sich dort über die Ems setzen zu lassen. Es war heller Mondschein, und der Fährmann hörte vom Dörpener Ufer den Ruf: Haol aower!"

Langsam schlenderte er zum Ufer hinunter, um das kleine Fährboot loszumachen.

"De Punte mitbringen!" hallte es herüber.

"Es wird ein Wagen kommen," dachte der Fährmann. Er nahm das große Schiff, fand aber am anderen Ufer nichts, als einen kleinen Mann, in dem er mit Schrecken einen Aulk erkannte. Genau so waren ihm immer diese unheimlichen Gesellen geschildert worden.

Kaum lag die Pünte fest, so hub ein Trippeln an auf den Brettern des Fahrzeuges, als wenn Tausende von kleinen dämonischen Gestalten zu gleich in das Schiff eilten. Es dauerte eine ganze Weile, und als es endlich aufhörte, stieg auch der Aulk ein.

Nur mit äußerster Anstrengung war die Pünte vom Ufer zu bringen. Dann zog sie schwer und tief durch die spiegelglatte Flut, eine solch große Last hatte sie lange nicht mehr getragen. Als das Schiff anlegte, forderte der Aulk den Mann auf, seinen Hut an's Ufer zu stellen.

Darauf war das Getrippel wieder zu hören, zugleich klimperte ein Geldstück nach dem anderen in den Hut. Zweimal mußte er geleert werden, zum dritten Male wurde er beinahe wieder voll.

Die Aulken zogen nordwärts, und immer wieder klang durch die Nacht der klägliche Ruf: "Ike Aok is dod!" bis es zuletzt in der Ferne verhallte.

In derselben Nacht fuhren die Aulken aus den Tunxdorfer Bergen in gleicher Weise etwa 10 Klm. nördlich Bollingerfähr über die Ems und zwar bei der Sorsumer Fähre. Der Weg der beiden Aulkentrupps mußte durch das Reich der Aulken führen, die in den Borsumer Bergen wohnten. Man sollte nun annehmen, letztere waren mit nach Westen gezogen. Das war aber nicht der Fall. Wohl zogen auch diese aus, aber sie wandten sich östlich. Dabei mußten sie über die Ems, benutzten aber merkwürdigerweise nicht die Borsumer Überfahrt, die ich^^^nen am nächsten war, sondern gingen zur Heeder Fähre, die etwa in der Mitte zwischen den beiden vorhin genannten Fähren lag. Sie weckten den Fährmann. Der kam heraus, sah aber nichts. Er ging in'' Haus, um sich wieder zu Bett zu legen. Da klopfte es noch einmal und zum dritten Male, und als er die Tür aufmachte, sah er eine unabsehbare Schar von kleinen, grauen Männlein. Einer war unter ihnen mit einem langen, grauen Barte. Der sagte zum Fährmann, er möge sie übersetzen, sie könnten die Glocken und den Kirchengesang nicht länger mit anhören und wollten fortziehen in ein ruhigeres Land.

Dieser machte darauf die Pünte los und stellte seinen Hut an's Ufer, wie der Zwerg ihn geheißen. Und nun drängte das kleine Völkchen auf das Schiff, daß es zum Sinken voll ward. Es faßte aber bei weitem nicht die ganze Schar; bis in die Morgenstunden hinein mußte der Fährmann immer hin und her fahren, bis endlich der letzte Aulk am anderen Ufer stand. Darauf sah er jenseits der Ems ein Meer von kleinen Lichtern flimmern, die hin und her und wirr durcheinanderwogten. Die kleinen Leutchen hatten niedliche Laternen angezündet, jede einzelne glimmte wie ein Glühwürmchen in der Nacht.

Dann entfernte sich das Lichtermeer.

Der Fährmann fand über seinem Hute einen ganzen Berg von Goldpfennigen angehäuft, er war über Nacht ein steinreicher Mann geworden.

Fort sind die Unterirdischen, wie weggeblasen aus unserer trauten Emsheimat. Nichts erinnert mehr an dieses Völkchen als ganz vereinzelt ein Aulkenpott,den der Bauersmann in der Sanddüne findet, davon wollen uns noch die Gelehrten sagen, es seien Urnen aus der Zeit der alten Germanen.

*


Die Riesen im Emslande!


Die Sagen von den Aulken geben uns ein ziemlich vollständiges, abgerundetes Bild über dieses sonderbare Völkchen. Weniger genau ist der Emsländer über die Rieen unterrichtet, die früher hier gewohnt haben sollen. Wir wissen nicht, woher sie kamen, nicht wo sie blieb^en, keine Geschichte gibt Kunde darüber, wie sie zu dem gewöhnlichen Menschen sich stellten. Die Sage weiß nur, sie waren da, hatten außergewöhnliche Kraft und Größe, lebten aber ähnlich wie wir und hatten sowohl menschliche Fehler als auch menschliche Tugenden.

Der älteste Stamm des Riesenvolkes scheint auf dem Hümmling gelebt zu haben und zwar in Börgerwald. Die Riesenfrauen gingen immer zur Ems, um weißen Sand zu holen. Einstmals war wieder eine Riesenfrau auf dem Heimwege mit einer Schürze voll Sand. Um noch vor Dunkelheit nach Hause zu kommen, eilte sie schnell über das unebene Gelände. In der Hast stürzte sie, das Schürzenband zerriß, und der ganze Sand lag auf der Erde. Er ist liegen geblieben, liegt noch dort und wird die Düne genannt.

Als die Zahl der Riesen wuchs, sind scheinbar einige zur Ems gewandert und haben dort Wohnung genommen.

Der Hüne, der dann bei Lathen hauste, konnte sich schlecht von seinen heimatlichen Bergen trennen. Kurz entschlossen wanderte er eines Morgens wieder zum Hümmling, nahm einen seiner lieben Berge auf den breiten Rücken und schleppte ihn auf Lathen zu. Schon war er dem Ziele nahe, da führte sein Weg über das Moor, Er sackte ein und mußte den Berg kurz vor Lathen mitten im Moore liegen lassen.

Der Baorenberg bei Herbrum führt ebenfalls seine Entstehung auf das Hünenwerk zurück. Schon der Name sagt es uns, Baoren ist eine geläufige Bezeichnung für Riesen.

Julie Lange erzählt uns in der Emslandnummer von Niedersachsen die Entstehung dieses Berges.

Einmal wollte eine Riesenfrau aus Börgerwald ihre Familie an der Ems besuchen. Eine fürchterliche Schwüle lag auf der braunen Heide. Der Weg wurde ihr schwer, doch sie gönnte sich keine Ruhe, bis sie tot hinstürzte.

Die beiden bösen Töchter der Toten hörten, ihre Mutter liege unbeerdigt auf dem düsteren Moor. Eine von ihnen Sprach: "Lassen die Raben nur das alte Weib fressen," die andere aber meinte, eine Schürze voll Sand könne sie der Mutter schon gönnen, um sie damit zu bedecken. Unterwegs rissen die Schürzenbänder, der Sand fiel auf die Erde.

Jetzt brach ein gewaltiges Unwetter los, schwarz wurde der Himmel, wie rasend pflügte der Blitz grell durch die schweren Wolken, grollend wälzte der Donner über das atemlos laufende Moor. Wie von Furien gepeitscht raste das Mädchen heim, doch wo sie ihre Schwester verließ, war ein weit klaffender Riß. Schwefeldämpfe zogen träge von unten herauf, dumpf gurgelte das trübe Moorwasser in die endlose Tiefe. Die ungeratene Tochter war zur Hölle gefahren.

Der Sand ist an der Stelle liegen geblieben, wo ihn das Mädchen fallen ließ, mitten im Moor, er bildet den Baorenbarg.

Unverständlich ist uns die Handlungsweise einer holden Schönen aus dem Geschlechte der Riesen vom linken Emsufer. Sie hatte den Fluß in ihrer Nähe und war noch unzufrieden!

Man traut seinen Augen nicht, - dort eilt die liebliche Maid schwer beladen zur Ems, sie will den Fluß zuschütten. Warum doch nur?

Halt, du Tunichtgut!

Gott Dank, der Himmel hat ein Einsehen; es strauchelt das leichtsinnige Kind, der Sand fällt zur Erde und schmollend schlendert das Mädchen heim. Der Sand liegt heute noch als große Sanddüne an der Heeder Fähre.

In ähnlicher Weise verdanken die Borsumerberge, Müllberge und der Holskenbarg ihre Entstehung den Riesen.

Aus Rhede wollte einmal eine Frau mit ihrer Tochter auswandern. Sie hatten die traute Heimaterde lieb gewonnen, und da sonst nichts mitzunehmen war, schrappten sie soviel Sand zusammen, als sie glaubten tragen zu können und zogen nach Süden. Doch bald änderten sie ihren Sinn wie Kinder, die eine Handvoll Blumen abrupfen und diese nach 20 Schritten achtlos beiseite werfen, bei Borsum warfen sie den Sand fort und bauten so die Borsumerberge.

Die Müllberge bei Dörpen sind noch mehr das Produkt einer Laune, eines Spieles. Die Riesenfamilie, welche dort wohnte, hatte mit Kind und Kegel Besuch gemacht bei der Verwandtschaft. Gegen Abend kehrte sie heim. Vater und Mutter bedächtig schreitend über den festen Weg, die Kinder munter springend links und rechts, durch Feld und Busch. Letztere wurden stiller als sie näher der Wohnung kamen, sogar verdächtig ruhig, und das war ein sicheres Zeichen, daß sie irgend etwas tun, was nicht so ganz das Licht verträgt. Und als nun an der Haustür angekommen der Alte sich umschaute nach seinen Zöglingen, da standen sie vor ihm, jeder trug soviel Sand, als er zu halten und tragen vermochte. Drohend erhob der Riesenvater den Finger. Ganz, als wäre nichts geschehe, ließ jedes Kind langsam den Sand zur Erde gleiten. Willst du wissen, wieviel sie mitschleppten, gehe nach Dörpen und laß dir die Müllberge zeigen.

Von etwas groberer Art muß noch wohl das Kind gewesen sein, das uns den Holskenbarg schenkte.

Munter hatte die Kleine gespielt am großen See, den lieben. Langen Nachmittag. Sie zog die Strümpfe aus, setzte die Holzschuhe auf das Wasser und ließ diese von den Wellen schaukeln. Dann wurden Blumen gepflückt und dabei die leichten Schiffe ganz vergessen. Doch o Schreck, als sie die Holzschuhe wieder anziehen wollte, war einer Fort. Wie sehr das Mädchen auch suchte, der Ausreißer blieb verschwunden. Nun wurde es böse: "Wenn ich dich finde, vergrabe ich dich in die Erde" und, wie wenn der Holzschuh nur darauf gewartet hätte, dort lag er ja. Ärgerlich schleuderte das Kind ihn auf die Erde, ging hin und holte eine Schürze voll Sand. Zurückkommend warf es zehn mal eine Handvoll davon fort, schüttete dann den Rest auf den Holzschuh. Wenn du an die Ems in das Zauberland der Aulken und Riesen kommst, kannst du den Schauplatz dieser Erzählung leicht finden. Dort ist er, wo du 10 kleinere Berge in einer Reihe erblickst, nicht weit davon eine größere Anhöhe und in der Nähe einen lieblichen See.

Damals lebte in Dersum ein Mann aus dem Geschlecht der Riesen, sein Bruder wohnte in Steinbild. Sie hatten sich verabredet, daß in der einen Woche der eine, der andere die nächste Woche Brot backen solle. Jeder knetete seinen Teich immer an demselben Wochentage, formte denselben zu gewaltigen Broten und warf sie dann durch die Luft dem Bruder zu. Am nächsten Tage flogen die fertig gebackenen Brote denselben Weg zurück.

Da ging einmal nach einem kräftigen Frühstück der Hüne zu Dersum vor die Tür seines Hauses und schaute in's Wetter. Er war in friedlicher Verdauungsstimmung und dachte eben daran, morgen müsse in Steinbild gebacken werden. Da hörte er von dort her ein Geräusch, als wenn der Backtrog ausgekratzt würde. "Ha", dachte er, "der insame Bengel will mich anführen, heute backt er statt morgen, eben kratzt er den Backtrog aus."

Verflogen war die gute Laune, er griff einen Stein und warf damit nach dem Hause des Bruders.

Der hatte eben in der Tür gestanden. Ihm war plötzlich eingefallen, er müsse morgen backen und habe noch keine Vorbereitungen getroffen. Verlegen kratzte er sich hinter den Ohren. Da sauste der Stein heran und fiel zum Glück an der Ecke des Hauses nieder.

Diese Geschichte hat in meiner Jugend die Mutter öfters erzählt. Sie hat den Stein gesehen, den der Riese warf. Er ist so dick gewesen, daß Menschenkraft ihn nicht von der Stelle bewegen könnte.